Einwohner*innenantrag

für Menschen statt für Durchgangsverkehr im Graefekiez

Die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg möge beschließen:

Das Bezirksamt wird im Wege der eigenen Zuständigkeit oder in Zusammenarbeit mit anderen Behörden und in Beteiligung der Bürger*innen ersucht, im Graefekiez durch geeignete Maßnahmen die Barrierefreiheit und Verkehrssicherheit, besonders für Kinder und Menschen mit Behinderung, signifikant zu erhöhen und den Graefekiez vom Durchgangsverkehr zu befreien.

Hierzu soll das Bezirksamt:

  1. innerhalb des nächsten Halbjahres den Kfz-Durchgangsverkehr in der Schönleinstraße mit zeitnah umsetzbaren Mitteln gänzlich verhindern –  durch Umwandlung der Boppstraße in eine Fußgehendenzone und Sperrung der Schönleinstraße mit modalen Filtern zwischen Hausnummer sieben und acht.
  2. im Graefekiez durch Gestaltung sicherer Kreuzungsbereiche und konsequente Beseitigung von im verkehrsberuhigten Bereich widerrechtlich abgestellten Kfz für sichere barrierefreie Fortbewegung sorgen.
  3. den Fahrzeugverkehr mit geeigneten Maßnahmen auf die jeweils gültige Geschwindigkeitsbegrenzung (4 bis 7 km/h in den meisten Straßen) einschränken und die Einhaltung nachhaltig kontrollieren.
  4. die Einrichtung von Mobilitätsstationen für Leihfahrzeuge an den Kiezrändern vorantreiben und Anwohnende bei der Parkraumnutzung (z.B. durch Parkraumbewirtschaftung) bevorzugen.
  5. langfristig den verkehrsberuhigten Bereich entsprechend dessen Zielsetzung (Spiel-, Kommunikations-, Verweil- und Bewegungsraum) umgestalten, Baumscheiben vergrößern und gegen Befahren sichern und von ruhendem Verkehr genutzte Flächen reduzieren und entsiegeln.
  6. Anwohnende an der Entwicklung partizipativ beteiligen und die Ergebnisse schrittweise gemeinsam mit den Anwohner*innen umsetzen und hierfür Haushaltsmittel bereitstellen.

Detaillierte Erläuterungen und Begründung

Die aktuelle Situation:

Der Graefekiez ist ein buntes, lebendiges und vielfältiges Kreuzberger Quartier mit vielen Schulen, Kitas, Schülerläden, Wohn- und Pflegeheimen, kleinen Gewerben, Cafés und Restaurants.

Ein Großteil des Straßenraums des Graefekiezes ist als verkehrsberuhigter Bereich ausgewiesen und ist damit zugunsten spielender Kinder und des Fußgehendenverkehrs als Spiel- Kommunikations-, Verweil- und Bewegungsraum freizuhalten: Es darf die ganze Straßenbreite genutzt werden, Kinder dürfen überall spielen. Um für spielende Kinder jederzeit rechtzeitig bremsen zu können dürfen Fahrzeuge nur  4-7 Kilometer pro Stunde fahren. Parken ist nur in dafür markierten Bereichen gestattet. Doch die Funktion des verkehrsberuhigten Bereichs ist heute bereits stark beeinträchtigt.

Berlin wächst seit geraumer Zeit stetig – und damit steigt auch der Druck auf die urbanen Flächen. Der Nutzungsdruck auf Straßen, Grün- und Freiräume steigt kontinuierlich und damit steigen auch die unterschiedlichen Ansprüche an die öffentlichen Flächen. Auch Klimawandel und unsere Gesundheit fordern eine nachhaltige Weiterentwicklung des Kiezes und Einsparung an schädlichen Emissionen.

Alles zugeparkt. Das Straßenbild des Graefekiezes entspricht durch die allgegenwärtige Trennung des baulichen Gehwegs von der Fahrbahnmitte durch Parkplätze nicht dem Bild eines verkehrsberuhigten Bereichs und wird so auch nicht als solcher erkannt. Der Straßenraum wird zum großen Teil von Automobilen dominiert, obwohl die Mehrheit der Anwohner*innen keines besitzt. Der ruhende Verkehr versperrt Wege und Flächen, auch illegal auf Sperrflächen, an Kreuzungsbereichen, in Einfahrten, Feuerwehrzufahrten, auf Baumscheiben oder unmarkierten Bereichen. Aber auch rücksichtlos abgestellte Leihroller und -fahrräder führen zu Problemen. Oft gibt es keine Möglichkeiten für Fußgehende, die Straße zu überqueren, oder auch nur zwischen den Autos hindurch zu kommen. Dies gilt umso mehr für Menschen, die im Rollstuhl unterwegs sind, einen Kinderwagen oder ein Fahrrad schieben. Auch Müllabfuhr und Rettungsfahrzeuge sind stark davon betroffen. Gerade für Kinder ist die Situation nur zu oft lebensgefährlich.

Durchgangsverkehr. Der Graefekiez wird im Bereich der Schönleinstraße dauerhaft als Abkürzung benutzt, um mit dem Auto schnell vom Kottbusser Damm zur Urbanstraße und umgekehrt zu kommen. Dienstags und freitags, wenn am Maybachufer Markttag ist, herrscht darüber hinaus verstärkter Parkplatzsuchverkehr im Kiez.

Der fließende Verkehr hält sich zum großen Teil nicht an die zulässige Höchstgeschwindigkeit im verkehrsberuhigten Bereich, sondern fährt ein vielfaches davon. Wer auf der Straße zu Fuß geht, begibt sich in Gefahr. Kinder spielen schon lange nicht mehr auf der Fahrbahn. Selbst viele Erwachsene bevorzugen daher leider das erlaubte Radfahren auf den oft engen baulichen Gehwegen.

Das Ergebnis ist ein Wohnviertel, in dem der motorisierte Verkehr alle anderen Verkehrs- teilnehmendenan den Rand gedrängt hat, entgegen aller Maßnahmen und Verkehrsregeln. Damit die Anwohner*innen die Straße so nutzen können, wie sie es eigentlich dürften, gibt es im Sommer jeden Mittwoch sogar eine „temporäre Spielstraße“ in der Böckhstraße – eine ehrenamtlich getragene „Spielstraße auf Zeit“ innerhalb eines (gescheiterten) verkehrsberuhigten Bereichs.

Wir wollen vorhandene Qualitäten des Graefekiezes sichern, weiterentwickeln und stärken:

  • unseren schönen Kiez kurzfristig wirkungsvoll vom Durchgangsverkehr befreien – mit „modalen Filtern“ in der Schönleinstraße und Fußgehendenzone in der Boppstraße vor Grundschule und Kitas – für sichere Wege, weniger Lärm und Abgase
  • mehr multifunktionale, nachhaltige grüne Infrastruktur für das urbane Leben schaffen: entsiegelte Grünflächen und Raum für nachbarschaftliche Begegnung. Die Anzahl der parkenden Autos im Kiez verringern – durch Maßnahmen wie Anwohnerparkzonen/Parkraumbewirtschaftung, neue Markierungen, Poller und konsequente Beseitigung von widerrechtlich abgestellten Fahrzeugen
  • Mobiltätsstationen an den Rändern des Kiezes, in welchen diverse Sharingfahrzeuge ausgeliehen werden können und abgestellt werden müssen, für ein besseres und geordnetes Mobilitätsangebot ohne Chaos
  • längerfristig den Straßenraum weiter so umgestalten, dass er den Anforderungen eines „verkehrsberuhigten Bereichs“ entspricht. Das bedeutet mehr Sicherheit und Flächengerechtigkeit im Kiez für alle Anwohner*innen, um die Aufenthaltsqualität zu erhöhen und einen tatsächlich barrierefreien Kiez zu schaffen

Es wird weiterhin motorisierten Verkehr im Graefekiez geben: Wirtschaftsverkehr soll durch Einrichtung von Lieferzonen die Arbeit erleichtert werden und auch für Anwohner*innen sollen die Straßen weiterhin offen bleiben. Wer auf ein eigenes Auto angewiesen ist, findet dank der neuen Maßnahmen in Zukunft einfacher einen Parkplatz.


Der obige Text steht so auf unserer aktuellen Unterschriftenliste. Mehr dazu auf der Kiezblock-Seite.